Noch bis vor gut 80 Jahren dachte man, dass Ungeborene taub seien, weil das menschliche Ohr für Luft und nicht für ein flüssiges Medium wie das Fruchtwasser konzipiert ist. Babys können im Mutterleib jedoch sehr wohl hören – aber anders.
Die erste Anlange zur Entwicklung des Ohres, die so genannte Ohrplakode, entsteht bereits beim Embryo. Das Ohrlabyrinth mit seinen Bogengängen und der Schnecke bildet sich ab dem dritten Schwangerschaftsmonat aus. Auch erste Sinneszellen und Nerven entstehen jetzt. Bei der Geburt ist das Hörorgan ausgewachsen. Der so genannte Hörnerv mit seinen Verbindungen ins Gehirn ist bereits angelegt. Allerdings fehlt dem Nerv noch die Myelinschicht (Isolierung), die ihn erst leitfähig macht. Die Myelinisierung der zentralen Hörbahnen, die für die Vorverarbeitung von Hörinformationen verantwortlich sind, findet erst nach der Geburt statt.
Hirnforscher stellten dennoch fest, dass Föten ab der 22. Woche auf akustische Reize mit Bewegungen, einer gesteigerten Herzfrequenz und Hirnaktivitäten regieren. Mehrere „Gewohnheitsexperimente“ zeigten, dass sich die Kleinen offenbar sogar an Geräusche „erinnern“, die sie in der Schwangerschaft häufiger hörten:
Bei werdenden Müttern, die in einer Befragung angegeben hatten, dass sie regelmäßig eine TV-Serie verfolgen, reagierten die Feten prompt auf die jeweilige Erkennungsmelodie. Babys von Frauen, denen die Sendung unbekannt war, antworteten erst nach einigen Minuten. Nach der Geburt ließen sich die Serienkinder mit „ihrer“ Erkennungsmelodie beruhigen.
Ebenfalls belegt: Lebt eine Schwangere in der Nähe eines Flughafens, stören startende Flugzeuge ihr schlafendes Neugeborenes weniger als Babys, die diese Geräusche erst nach der Geburt kennen lernen. Bei den Reaktionen handelt es sich medizinisch gesehen allerdings um primitive Reflexe, die nichts mit Lernen zu tun haben. Eine frühe Beschallung des Ungeborenen, etwa mit klassischer Musik, bringt also keinen kleinen Mozart hervor. Manche Wissenschaftler vermuten aber, dass Musik eine frühe Myelinisierung der Hörbahnen anregt.